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Roms geheimer Schatz - Die Urikone des Rosenkranzes

Roms geheimer Schatz - Die Urikone des Rosenkranzes

Von Paul Badde

ROM, 20. Mai 2010 (ZENIT.org).- Wir veröffentlichen einen Bericht des Journalisten Paul Badde über die Auffindung der „Urikone des Rosenkranzes".

Die Marien-Ikone der „Advocata" vom Zionsberg soll vom heiligen Lukas gemalt und vom heiligen Dominikus im 13. Jahrhundert in dessen neu gegründetes Frauenkloster gebracht worden sein. Heute ist diese „Urikone des Rosenkranzes" im Monastero di Santa Maria del Rosario (Via Cadlolo Alberto 51 / Via trionfale 177, 00136 Rom) zu sehen.

Die „Advocata" lernte ich kennen, als ich gerade wieder einmal einen Anwalt nötig hatte. Wer kennt das nicht? Ein Streitfall, ganz ungesucht, ganz plötzlich, wo der eigene Rat nicht mehr ausreicht. Doch sie ist natürlich keine Advokatin im üblichen Sinn, auch keine Fürsprecherin, wie wir sie sonst kennen, sondern ein uraltes Bild auf brüchigem, von Würmern fast schon zerfressenem Holz. Wer vor ihr steht, könnte jedoch schwören, Fleisch und Blut vor sich zu haben. Advocata ist der Name der schönsten, ältesten und geheimnisvollsten Madonnen-Ikone des an Marienbildern so überreichen Rom, wo seit alters her viele Gnadenbilder um den Titel der ältesten Ikone wetteifern. Sie ist verborgen wie keine andere: ein völlig unbekannt gewordenes Bild der Gottesmutter. Das war nicht immer so. Nur das Klingeln des Handys störte, als ich das erste Mal bei ihr war. Ich drückte es hastig aus, ging vor die Tür und rief zurück. Der Fall, für den ich einen Anwalt suchte, erfuhr ich da, hatte sich gerade von selbst gelöst.

Schon Jahre zuvor hatte ich mir vorgenommen, die „Herbeigerufene" unbedingt aufzusuchen, sobald ich nach Rom kommen würde. Doch dann war sie in all den Aufregungen und Ablenkungen, die die Hauptstadt der Welt für jeden Neueinwanderer bereithält, schneller vergessen als ich meine Umzugskartons ausgepackt hatte. Ein Benediktiner der Abtei „Mariä Heimgang" hatte sie uns in Jerusalem auf dem Zionsberg zuerst ans Herz gelegt. Vater Bernhard Maria, der sanftäugige Mönch, ist nicht nur Ikonenmaler, sondern auch ein gelehrter Experte der rätselhaften Bilderwelt des Ostens. Da hatten wir gerade in der Altstadt hinter dem Viertel der Armenier im „Haus des Evangelisten Markus" ein brüchiges Bild Mariens auf Hirschleder entdeckt, von dem uns der syrische Erzpriester unter Schwüren versicherte, dass es von dem Evangelisten Lukas selber stamme. Auch dieses Bild hätte uns nicht lebendiger anschauen können. Dass es von Lukas gemalt worden sein soll, schien dennoch völlig unwahrscheinlich. Das Bild war zu schön, um über den Anspruch zu lachen, doch in Jerusalem wird viel erzählt und behauptet. „Ach, eine Lukas-Ikone", lächelte Bernhard Maria hingegen nur und strich durch seinen Bart. Von dieser wusste er nichts. Ansonsten aber kannte er von der Gattung mindestens zwölf Exemplare, einige nach dem Augenschein, andere nach dem Hörensagen. Das Privileg, die schwarze Madonna von Tschenstochau kopieren zu dürfen, war in seiner Heimat lange Zeit exklusiv an seine Familie gebunden; und auch dieses Bild gehöre zu dieser Gattung. Die vielleicht ehrwürdigste Lukas-Ikone aber befinde sich in Rom, erzählte er weiter, in einem Kloster auf dem Monte Mario, dem Marienberg, im Westen der Stadt.

Davon wusste in Rom freilich keiner etwas, den ich nach unserer Ankunft fragte. Auch das weltweite Netz gab keine Auskunft, das auch dort inzwischen längst als universaler Marktplatz aller Neuigkeiten und Geheimnisse verehrt und befragt wurde. Die Herbeigerufene ließ sich nicht herbei-googlen. Meine Frau drängte zwar noch einige Sonntage lang, wir sollten sie doch einfach einmal suchen. Doch wo? Einfach nur auf dem Monte Mario herumlaufen? Es war, als wäre sie in einem Tresor verschlossen. Ich dachte schon gar nicht mehr daran, als letztes Jahr plötzlich die e-mail einer alten Freundin aus Aachen auf meinem Rechner auftauchte, in der es hieß: „Kurz vor Weihnachten schicke ich dir diese wunderschöne Marienikone (aus dem Rosenkranz-Kloster auf dem Monte Mario). Ich fand sie in einem Heft: ‚Die sieben Lukas-Ikonen Roms', von Salesia Bongenberg, einer genialen Zeichnerin aus Fulda, im Nachlass eines befreundeten Priesters mit einer bewegenden Lebensgeschichte. Er grüßt Dich aus seiner anderen Welt. Könntest Du es brauchen?" - Der Sendung war das pixelschwache Foto einer Ikone angehängt, auf der nur das Gesicht und eine Hand der Madonna vom völligen Ruin ausgenommen schien, sonst nichts, über einer Unterzeile in schöner klarer Handschrift: „Advocata - Herbeigerufene". So sah ich sie zum ersten Mal.

Aber auch das handschriftliche schmale Buch, das eine Woche später in meinem Briefkasten lag, enthielt keine Adresse des Rosenkranzklosters. Sie fand sie auch nicht im Telefonbuch, noch in unserer Pfarrei, und Taxifahrer konnten wir erst recht nicht danach fragen, die auch in Rom nur noch mit Glück zwei, drei andere Kirchen außer Sankt Peter kennen. Irgendwo auf der langen Via Trionfale ließen wir uns absetzen und fragten im nächsten Kiosk nach. Keine Auskunft. Wir liefen vor, liefen zurück. Der Monte Mario ist einer der prominentesten Hügel Roms. Es ist der alte Colle Sacro alla Croce, wo Kaiser Konstantin am 27. Oktober 312 abends ein Christusmonogramm am Himmel über Rom erblickte - bevor er am nächsten Tag unten an der Milvischen Brücke „unter dem Zeichen des Kreuzes" das Heer seines Gegenspielers Maxentius vernichtend schlug. Der Ort und Tag steht am Anfang der wundersamen Christianisierung des Abendlands. Doch jetzt hatte auch im Karmeliterinnen-Kloster neben der Via Trionfale eine Nonne an der Rezeption noch nie etwas von dem Dominikanerinnen-Kloster der Heiligen Maria vom Rosenkranz in der Nachbarschaft gehört, wo sich die älteste Ikone der ganzen Stadt befinden soll. Wir gaben auf. „Lass uns zu Fuß zurück gehen!" sagte meine Frau.

Fünf Minuten später standen wir vor dem Kloster. Eine versteckte Inschrift am Straßenrand, daneben ein abgesperrtes Gittertor, darüber eine verfallende Barockkirche zwischen den Bäumen, hinter Mauern. Auf der Rückseite des Komplexes noch eine Tür, natürlich auch verschlossen, doch mit Klingel. „Ave Maria", meldete sich eine Frauenstimme in der Sprechanlage. Nein, nein, natürlich könnten wir jetzt nicht in die Kirche. Es sei eine Klausur. Wir waren auf ein Haus der Weltabgeschiedenheit für das ewige Gebet gestoßen, hinter selbst gewählten Gittern, für freiwillige Gefangene zum Lobpreis Gottes. Wir könnten aber am nächsten Morgen wiederkommen, sagte die Stimme noch. Da sei ab 7 Uhr in einer Seitenmauer eine Stahltür offen für die Besucher der Messe um halb acht. So ist es, jeden Tag. Am nächsten Tag sind wir die einzigen Besucher der Frühmesse, denen eine kleine alte Messnerin mit wachen Augen die Tür geöffnet hat. Morgensonne durchflutet den Kirchenraum von hinten durch das gläserne Hauptportal. Die Kirche des Klosters ist nach Westen, nicht nach Osten ausgerichtet, wie der Petersdom. Ein Priester mit Stock, alt wie Methusalem, liest vorne am Altar die Messe. Über ihm an der Decke ein Fresko der Seeschlacht von Lepanto, die mit dem Rosenkranz gegen das Vordringen der Türken nach Europa entschieden wurde. Von links antworten ihm einige helle, und einige dünne Stimmen durch ein Gitter: der Gesang der Dominikanerinnen in ihrer Klausur. Hinter dem Altar schimmert das Goldmosaik der Apsis um eine Figur der Rosenkranzmuttergottes. Bei der Wandlung leuchtet das Kreuz über dem Tabernakel in flammendem Gold. Zum Schluss gibt er den Nonnen durch das Gitter nach links den Segen, dann meiner Frau und mir, nimmt seinen Stock, geht mühsam die Stufen des Altares herab und nach links hinüber, wo er sich vor einem vergitterten Fenster zum Abschied vor der Madonna sammelt. Es ist die Advocata.

Als er zur Sakristei hinüber geht, wage auch ich mich endlich nach vorn, um durch das schwere Eisengitter die Madonna zu betrachten, die wir so lange gesucht haben. Sie schaut traurig. Sie geht fast unter im Schatten des überladenden Schmucks, mit dem Pilger und andere Liebhaber sie umgeben haben: Gold, Edelsteine, Rosenkränze, Votivgaben aller Art. Mit Liebe überschüttet. Ich schaue sie ratlos an. „Einen Moment!" höre ich da plötzlich eine leise Stimme hinter dem Bild „Warten sie!" Links und rechts neben der Madonna klappen zwei kleine Fensterchen auf, dann setzt sich der ganze Rahmen in Bewegung und wird von hinten gedreht.

Das geschmückte Bild war nur die Rückseite der Advocata, die selbst immer in die Klausur der Dominikanerinnen hinein schaut, in einen Raum, den außer den Nonnen nur Kardinäle Raum betreten dürfen. Dieses Madonnenbild ist wirklich in einem menschlichen Tresor zuhause, aus dem sie sich jetzt endlich uns zuwendet: ganz ohne Schmuck. Ich muss schlucken. Eine kleine Lampe beleuchtet das Bild von oben. Haarrisse durchziehen die Wachsfarben, unterbrochen von vielen restaurierten kleinen Inseln. Der Rest der Bildtafel war wohl nicht mehr zu restaurieren und zu retten, bis auf das Gesicht in der Mitte. Dieses Antlitz aber ist zwischen allem Verfall und aller Auflösung in unvergleichlichem Glanz erhalten. Ich halte mich an dem Gitter fest. Sie schaut nicht traurig. - Doch warum ist sie mir nur so vertraut? Erkenne ich in dem Vollmondrund das Gesicht meiner Mutter wieder, als sie sich zum ersten Mal über mich beugte - als das erste, was jeder sieht, der einigermaßen glücklich zur Welt kommt? Mir steht der Mund offen. Ihre Hände sind mit Gold überzogen und weisen nach rechts, halb zur Höhe, wie zu einem Weg. Natürlich schaut sie mütterlich, doch es ist nicht alles.

Die Szene, in der Lukas die Madonna malt, zieht sich selbst als kostbares Motiv durch die Gemäldewelt des hohen Mittelalters. Rogier van der Weyden und andere Große haben bis hin zu Raffael das Thema aufgegriffen: der Evangelist vor einer Staffelei, dahinter ein geöffnetes Fenster, vor ihm die Madonna mit Kind, die dem Maler Modell sitzt. Doch die Augen der Advocata sind anders als bei Mijnheer van der Weyden. Es sind keine Augen, die ihr Kind anlächeln. Sie haben alles Leid der Welt gesehen. Und ein Kind hat sie hier überhaupt nicht dabei. Es ist eine archaische und ganz und gar seltene Mariendarstellung, die in Russland „Rimskaja" (Die Römische) genannt wird oder auch „Liddskaja" (Die Lyddische). Es sind zum Teil irrlichternde, widersprüchliche Traditionen, die sich in diesen Namen niederschlagen. Doch Rom ist der einzige Ort neben dem Sinai, wo sich noch Bilder erhalten haben, die den grausamen Bildersturm der Ostkirche überlebt haben - und von Lydda, dem heutigen Lod beim Ben-Gurion-Airport zwischen Jerusalem und Tel Aviv, soll das älteste Bild Marias überhaupt stammen, wie es in einem Brief der drei östlichen Patriarchen an Kaiser Theophilos aus dem Jahr 833 heißt. Diese Urikone der Madonna soll nach Lydda gebracht worden sein, als Maria sich „noch auf dem Zionsberg" befand. „Sie war von mittlerer Größe", lesen wir davor in einem anderen Schreiben des Bischofs Epiphanios im 5. Jahrhundert in Zypern, „ihre Gesichtsfarbe war die eines Weizenkorns. Sie hatte Augen aus Bernstein, die alles durchdrangen, dunkle Brauen darüber, Pupillen wie Oliven, eine schlanke Nase und einen rosenfarbenen Mund, der stets sanft redete." Gesehen haben kann er sie selbst nicht mehr; gesehen haben könnte er allerdings dieses Bild, diesen muschelseidenen Blick, die Kreuzblüte auf dem Tuch über der Stirn. Das orientalische Maphorion, in das sie sich wickelte, war ein übliches Gewand in der Antike, doch hier sind sie mit Purpur und Indigo gefärbt, Farben, wie sie für Königinnen reserviert waren.

Jetzt weiß ich gar nicht zu sagen, wie oft ich sie seit der ersten Begegnung noch gesehen habe. Der Blick in diese Augen beruhigt die Seele. Kein Wunder, dass die Menschen einmal zu ihr strömten, wo mich im letzten Jahr kein Mensch je störte, in völliger Stille. Bei der Verfolgung ihrer Spuren zurück durch die Geschichte bin ich in der Stadt mehreren Ikonen begegnet, die sich schmücken, das „älteste Bild Mariens" zu sein. Eine von ihnen scheint kostbarer als die andere, sei es versteckt in einer Nebenkapelle des Pantheon, sei es inmitten des Forum Romanum oder sei sie so prominent wie „Salus Populi Romani" in Santa Maria Maggiore, dem „Heil des Römischen Volkes" - die natürlich auch Lukas zugeschrieben wird. Erstaunlicher aber ist eine andere Entdeckung. Es gibt in der Stadt noch einige Bilder der Advocata, mit der gleichen Haltung und sogar dem gleichen oder noch merkwürdigeren Namen, angefangen von der Advocata eines Petrus Pintor in Santa Maria in Lata am Corso, bis hin zu einer „ägyptischen Madonna" über dem Hochaltar von Ara Coeli oder der „Jungfrau von der Fürbitte", in Sant'Alessio auf dem Aventin, von der es heißt, dass sie aus Edessa stammt. Eine von ihnen älter als die andere, doch alle sind ähnlich erratisch dargestellt, als Vorübergehende, als würden sie sich hinter einem Fenster dem Betrachter zuwenden. Und alle machen eines deutlich: alle sind Kopien dieses Originals auf dem Monte Mario, an das bei aller Kunstfertigkeit keine zweite heran reicht. Es ist eine wahre Familie von Kopien. Anders ist der Zusammenhang nicht zu erklären. Doch warum? Weil das Original vielleicht noch nie leicht zugänglich war? An der Tafel haben sich Legenden angesetzt wie Muscheln an einem Fels in der Brandung.

Hinter allen Legenden findet sich jedoch eine Merkwürdigkeit, die kunstgeschichtlich in die früheste Schicht der christlichen Bilderwelt zurückführt. Denn wie die Madonna in der Chiesa Nova auf dem Forum Romanum - deren „Imago Antiqua" allerdings niemals Kopisten zur Nachahmung einlud - ist auch die Advocata „enkaustisch" gemalt. Das heißt, in einer Maltechnik Ägyptens mit heißem Wachs und Mastix, deren geheime Mixtur im 7. Jahrhundert für allemal verloren ging. Diese Technik hat sie mit den ältesten Ikonen vom Sinai gemein und mit der Bemalung antiker Fischerboote. Am ehesten gleicht die Madonna aber einigen jener etwa 800 Mumienporträts, die Ende des 19. Jahrhunderts im Wüstensand der Oasen von Fayoum und Memphis in Oberägypten gefunden wurden - die allgemein als Vorläufer der Ikonen gelten. Es sind darunter Bilder höchster Meisterschaft neben eher primitiven Tafeln. Zur Unterscheidung gibt es für die Porträts eine Faustregel. Alle von ihnen stammen aus dem 1. bis 4. Jahrhundert nach Christus, alle waren enkaustisch gemalt, doch je älter sie sind, desto schöner und differenzierter sind sie auch. Rein technisch ist die Advocata diesen allerbesten Bildern am nächsten verwandt, diesen allerältesten Exemplaren: im Blick ihrer brunnentiefen Augen, im Korallenrot der Lippen, im Rouge der Wangen, der auffallend langen Nase, der Kunst der Schattierung und im unergründlichen Rätsel ihrer Lebendigkeit. Doch keine schaut barmherziger. So beseelt und lebendig wie im Blick der Advocata scheint kein anderer Mensch in einem Bildnis aus der Antike auf uns zugekommen.

1960 wurde die Tafel vom 12. Februar bis zum 28. Juni eingehend untersucht und restauriert. Der Untersuchungsbericht ist dürr. Ort: Rom. Maler: unbekannt. Maße: 70,2 x 40,5 cm. Dicke der Tafel: 0,5 cm. Holzart: vielleicht Linde, jedenfalls so zerfressen, dass eine Altersbestimmung nur schwer möglich ist. Eine Kupferplatte hält das Bild von hinten zusammen, Röntgenaufnahmen sind deshalb unmöglich. Sicher scheint nur, dass sie aus dem Osten kommt. Woher, weiß keiner. Auf dem Monte Mario befindet sie sich seit 1931, davor wurde sie seit 1575 in SS. Domenico e Sisto an der Piazza Magnanapoli verehrt, einem Barock-Juwel unter den Kirchen Roms, davor seit dem Jahr 1221 in San Sisto vecchio am Ausgang der Via Appia, davor in Santa Maria in Tempulo, einer Kirche, die schon lange säkularisiert wurde, doch deren verstecktes Gemäuer immer noch für Ziviltrauungen genutzt wird. In der letzten und vorletzten Kirche erinnern noch Bilder an ihren Aufenthalt, einmal in einem Fenster, das andere Mal versteckt im Chor hinter dem Hauptaltar, dahinter verliert sich die Spur. Nach ihrer Ankunft in Rom soll sie zuerst in S. Agatha in Turri verehrt worden sein, aus der später Santa Maria in Trastevere wurde. Davor ist Dunkel.

Nur Legenden erhellen sie in dieser Zeit wie ein Nimbus. 1656 hat eine Schwester Domenica Salamonia die schönsten in einer Chronik versammelt, in einer Abschrift älterer Abschriften, wie sie beteuert. Dass dieses Bild Wunder wirke, war ihr keine Frage, auch nicht, dass Lukas es natürlich selbst gemalt habe, im Abendmahlssaal auf dem Zionsberg, wo sie nach dem ersten Pfingstfest neben Petrus einen Ehrenplatz unter den Aposteln hatte. Darum habe sie es später auch gedrängt, in ihrem Bild nach Rom zu kommen, zum Nachfolger des Apostels. Es sei die Ikone der Urgemeinde. Darum auch dieser Blick, der gesehen hatte, wie ihr Sohn in Armeslänge neben ihr zu Tode gemartert wurde. Die ihn danach für 40 Tage wieder unter den Lebenden - und wieder neu entschwinden sah. Musste sie nicht danach zur ersten Ikone ihres Sohnes unter den Aposteln werden? Doch der Apostel Johannes, nicht Lukas, habe es aus Jerusalem nach Ephesus gebracht, von wo es nach seinem Tod nach Konstantinopel und Europa gelangt sei. Im Jahr 590, berichtet Schwester Salamonia weiter, trug Gregor der Große ihr Bildnis in einer schweren Pest wie ein Heerzeichen gegen die Seuche durch Rom. Als sich die Prozession dem Tiber näherte, schien das Mausoleum Kaiser Hadrians in Flammen zu stehen. Auf der Mauerkrone erschien ein junger Mann in Rüstung, der sein Schwert langsam in die Scheide steckte. Die Pest brach zusammen. Ein Chor in der Höhe sang der Himmelskönigin zu Ehren „Regina Caeli". An jenem Tag nannte Papst Gregor das alte Bauwerk in Engelsburg um, dessen Spitze bis heute den Erzengel in Bronze zeigt, wie er das Schwert in die Scheide steckt. Die Geschichte ist so römisch wie das Pantheon. Domenikus Guzman, dem die Christenheit den Rosenkranz und eine Wolke großer Heiliger aus seinem Orden verdankt, hat das Bild am 28. Februar 1221 schließlich eigenhändig von S. Maria in Tempulo zu S. Sisto in sein neu gegründetes Frauenkloster getragen. So wurde das Bild mit Gewissheit zur Urikone des Rosenkranzes, der Traditionskette schlechthin, mit der Christen mit den Augen der Mutter den Sohn betrachteten - und einen schöneren Ort als heute hätte die Himmelskönigin für ihr Bild kaum wählen können.

Auf dem Monte Mario nimmt das Kloster einen märchenhaften Platz ein. Bevor die Advocata hierhin überführt wurde, hat Franz Liszt in dem Haus schon sein Christus-Oratorium komponiert. Die Aussicht über Rom ist kosmisch. Doch seit oberhalb des Klosters das Hilton-Hotel errichtet wurde, geht die Barockkuppel im Panorama des Hügels fast unter. Vom Dach des Klosters, von dem eine Schwester noch vor Jahrzehnten verfolgen konnte, wie Papst Pius XII. in den Vatikanischen Gärten von einem Sonnenwunder heimgesucht wurde, kann man Sankt Peter schon lange nicht mehr sehen. Nur das Bild Mariens in der Klausur der Nonnen ist immer noch schön wie am ersten Tag. Vielleicht ist es auch noch schöner geworden. Die Dominikanerinnen aber, die „das süße Bild in unzertrennlicher Gemeinschaft" verwahren, werden immer älter. Von dreizehn Schwestern sind fünf über 80, eine ist 92. Wasser kommt durch manche Wände, die Leitungen sind alt und brüchig, Schwester Angelica, die Oberin, kann ihre Schulden nicht bezahlen, die Telefone funktionieren nicht. Sie ist dringend auf Spenden angewiesen und weiß sie nur noch herbei zu beten. Das Kloster lebte einmal von der Kunst, Reliquien kostbar einzufassen. Das Haus ist voll solcher Reliquien: ein Schienbein des heiligen Thomas von Aquin, die Schädeldecke des heiligen Dominikus, ein Reliquiar mit einer schlanken Hand der heiligen Katharina von Siena aus dem 14.

Jahrhundert, verdorrt, schlank und nachgedunkelt, doch deutlich mit einer Handwunde ihrer Stigmata. Es ist die Insel einer Welt, die - rein soziologisch betrachtet - akuter vom Untergang bedroht ist als die Gletscher der Schweiz. Wie lange Europa auf diesen Luxus noch rechnen kann, weiß keiner.

„Wo ist der alte Priester vom letzten Mal", fragte ich bei meinem dritten Besuch, als morgens ein Pater aus Schwarzafrika aus der Sakristei zum Altar kam. „Er ist letzte Woche gestorben", sagte Schwester Angelica durch das Gitter, „mit 93 Jahren". Don Simeone war Kroate und sei zur Advocata gegangen, die er so sehr geliebt hat. Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende, sagt Maria selbst mit ihrem alterslosen Blick. Sie ist ein verborgenes Weltwunder. „Die Mutter des Herrn hat vom gläubigen Volk den Titel Advocata erhalten", sagte Papst Benedikt XVI. am 11. September in Regensburg, „sie ist unsere Anwältin bei Gott." Ich sehe schon, wie ich sie wieder aufsuchen muss. Wir werden sie alle noch nötig haben.

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